Alexander Van der Bellen
Ich war 30 Jahre an Universitäten tätig. Das heißt, ich war bis zum reifen Alter von 50 immer zusammen mit jungen, intelligenten Menschen, die gescheite Fragen stellen. Das unterscheidet mich, glaub ich, von den anderen. Diese Art von Sozialisation hält einen auch jung.
Bildung und Ausbildung geht von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Die Kindergärten sind in ihrer Bedeutung für den künftigen Lebensweg nach wie vor unterschätzt. Ich glaube, Kinder lernen von sich aus gerne, wenn sie klein sind.
Die Freude am Lernen geht mitunter in der Schule verloren. Das ist das Schlimmste, was man über ein Schulsystem sagen kann. Wichtig ist mehr Zuwendung zum Individuum sowie die Förderung der Stärken, anstatt immer auf die Schwächen zu schauen. Darüber hinaus ist die Entscheidung zwischen Hauptschule und AHS mit 9 bis 9 1⁄2 Jahren für Kinder, Lehrer und Eltern zu früh.
Die Universitäten sind chronisch unterfinanziert. Hannes Androsch hat neulich eine Statistik vorgelegt: Was die TU Wien bekommt, was die TU München bekommt, geschweige denn die ETH Zürich. Da liegen einfach Welten dazwischen. Da muss man bewundern, was die TU Wien trotzdem zusammenbringt. Ich kann nur dafür plädieren, die universitäre Ausbildung nicht zu vernachlässigen.
Die Europäische Union ist dabei auseinanderzubröseln. Das Flüchtlingsdrama ist nur das akuteste Beispiel, wo die Mitgliedstaaten nicht im Stande sind, zu einer Lösung zu kommen. Ich sehe darin ein fundamentales Problem in der Konstruktion der Union. Es ist zu viel Macht bei den Mitgliedstaaten und zu wenig bei der Kommission und dem Europäischen Parlament, also zu viel Nationalstaaterei. Deswegen ist es schwer, die Flüchtlinge fair zu verteilen. Die Union sollte anders organisiert sein, um Handlungsfähigkeit herzustellen. Sie darf nicht zerbröseln. Dafür würde ich werben wollen.
Eine Aufgabe ist sicher, diesen Ausgleich herzustellen, aber ebenso wichtig ist es, auf die Einhaltung der Bundesverfassung zu drängen. Ich persönlich halte mehrere Dinge, die zurzeit in Österreich passieren, für verfassungswidrig. Nämlich etwa die sogenannte Obergrenze. Jeder, der Asyl beantragt, hat zumindest das Recht ein faires Verfahren zu bekommen. Man kann ihm auch nicht sagen: OK, wir werden das prüfen, aber irgendwann. Das habe ich von der Bundesregierung auch schon gehört. Das ist das Gegenteil von Integration, nebenbei gesagt.
Ich würde versuchen, ein bisschen Nüchternheit in die Debatte zu bringen. Diffuse Ängste sind ein schlechter Ratgeber. Gleichzeitig müssen wir uns den Problemen stellen. Jemand aus dem Nahen Osten kommt aus einem Umfeld, das mit einiger Wahrscheinlichkeit anti-israelisch eingestellt war. Wir brauchen es nicht, dass sich jemand antisemitisch äußert. Das ist eine Integrations- / Erziehungsaufgabe und das wird uns die nächsten 20 Jahre beschäftigen. Ähnliches gilt bei der Gleichstellung von Mann und Frau. Da haben wir unsere Regeln, und wir müssen darauf drängen, dass die auch eingehalten werden. Das ist keine diffuse Angst, das ist eine realistische Erwartung.
Bei den autochthonen Minderheiten, vor allem bei den slowenischsprachigen in Kärnten und Kroaten im Burgenland, ist es ganz wichtig, dass sie die Sprache beibehalten. Das wäre das, was man typischerweise unter Minderheit versteht.
Aber wir haben natürlich eine große muslimische Minderheit. Die sollen ihre Moscheen bauen dürfen, finde ich. Ich bin ursprünglich evangelisch, und es gibt gewisse Parallelen zwischen der Situation der Protestanten und den Muslimen in Österreich. Die Evangelischen haben erst am Ende des 18. Jahrhunderts die Freiheit der Religionsausübung bekommen - und somit die Erlaubnis Kirchen zu bauen, vorausgesetzt die Kirche war unscheinbar, und sie durfte auf keinen Fall größer sein als die katholische. Ich will das nicht überbewerten, aber die diffuse Angst vor Moscheen ist mir persönlich nicht nachvollziehbar.
Ich halte sie für nicht ausreichend. Wir hatten gerade eine negative Erfahrung mit einem Beauftragten im Zusammenhang mit dem KZ Mauthausen. Da hat einer im Internet gepostet, dass Mauthausenflüchtlinge 1945 nicht KZ-Häftlinge, sondern Verbrecher gewesen wären. Der Beauftragte hat keinen Einspruch eingelegt und damit ist die Geschichte juristisch sozusagen erledigt. Insofern fürchte ich, eine Person allein, mag sie noch so qualifiziert sein, reicht nicht aus. Es braucht eine richterliche Kontrolle mit Berufungsmöglichkeit.
Der Bundespräsident muss den Rechtschutzbeauftragten nicht bestätigen. Wenn er gute Gründe hat, den Vorschlag abzulehnen, muss die Bundesregierung einen neuen Vorschlag machen. Das ist ein feiner, aber nicht unwichtiger Unterschied.
Ich bin sehr für direkte Demokratie auf den unteren Ebenen. Das ist zwar ein großer Aufwand, aber da lohnt sich Mitbestimmung. Auf den höheren Ebenen haben wir immer das Risiko, dass in Wahrheit über etwas anderes abgestimmt wird. Wir haben in Österreich eine Volksbefragung gehabt über die Frage: Berufsheer oder Wehrpflichtigen-Heer. Ist da nicht in Wahrheit über den Zivildienst abgestimmt worden? Insofern bin ich ein Anhänger der repräsentativen Demokratie. Dafür sind Politiker da, dass sie schwierige Entscheidungen treffen.
8. Was würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Ich würde empfehlen zu überlegen: Was
will ich wirklich? Nicht für die nächsten 50 Jahre sondern für die nächsten 20
Jahre - Was muss ich dafür können? Wo bekomm ich die beste Ausbildung dafür?
Ich habe das seinerzeit unterschätzt. Ich habe gar nicht gewusst, dass damals
die Ökonomieausbildung an der Uni-Innsbruck miserabel war. Das hat sich dann
später rasch verändert.
Was ich noch empfehle, ist sich nicht so von Prognosen, was der Arbeitsmarkt braucht, beeinflussen zu lassen, sondern zu machen, was einen wirklich interessiert. Selbst wenn die Statistiken sagen, dass etwas überlaufen ist. Wenn man in dem Bereich wirklich gut ist, hat man auch eine realistische Chance sich durchzusetzen. Sonst kann ich nur sagen: Good Luck!