Die Stichwahl

Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer stehen sich nach stattgegebener Anfechtung  der Stichwahl durch die FPÖ ein zweites Mal gegenüber. Nachdem der erste Termin am 2. Oktober aufgrund defekter Briefwahlkuverts verschoben wurde, findet die Wahl jetzt am  4. Dezember 2016 statt.

1. Was halten Sie für den wichtigsten Grund, warum junge ÖsterreicherInnen Sie wählen sollen?

Van der Bellen: Ich war 30 Jahre an Universitäten tätig. Das heißt, ich war bis zum reifen Alter von 50 immer zusammen mit jungen, intelligenten Menschen, die gescheite Fragen stellen. Das unterscheidet mich, glaub ich, von den anderen. Diese Art von Sozialisation hält einen auch jung.

Hofer: Wenn man sich anschaut wer kandidiert, bin ich der Einzige, der mitten im Leben steht. Ich bin erst 45, habe Kinder, weiß wie es denen geht und welche Sorgen es gibt. Ich nehme mir auch neben der Politik die Zeit ganz normale Dinge zu machen. Ich gehe meinen Hobbies normal nach. Ich bin ein ganz normaler Typ.

2. Sind Sie für eine Reform des Bildungssystems? Wenn ja, welche Veränderungen sind Ihnen besonders wichtig?

Van der Bellen: Bildung und Ausbildung geht von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter. Die Kindergärten sind in ihrer Bedeutung für den künftigen Lebensweg nach wie vor unterschätzt. Ich glaube, Kinder lernen von sich aus gerne, wenn sie klein sind.

Die Freude am Lernen geht mitunter in der Schule verloren. Das ist das Schlimmste, was man über ein Schulsystem sagen kann. Wichtig ist mehr Zuwendung zum Individuum sowie die Förderung der Stärken, anstatt immer auf die Schwächen zu schauen. Darüber hinaus ist die Entscheidung zwischen Hauptschule und AHS mit 9 bis 9 1⁄2 Jahren für Kinder, Lehrer und Eltern zu früh.

Die Universitäten sind chronisch unterfinanziert. Hannes Androsch hat neulich eine Statistik vorgelegt: Was die TU Wien bekommt, was die TU München bekommt, geschweige denn die ETH Zürich. Da liegen einfach Welten dazwischen. Da muss man bewundern, was die TU Wien trotzdem zusammenbringt. Ich kann nur dafür plädieren, die universitäre Ausbildung nicht zu vernachlässigen.

Hofer: Was mir nicht gefällt, sind die Aufnahmeprüfungen an der Uni, weil eine Tagesleistung abgerufen wird und das keine Auskunft gibt, ob jemand im Studium erfolgreich sein wird. Für mich ist die Matura die Voraussetzung für das Studium und alles andere ergibt sich dann im Studium. Es ist schwierig, dass Studenten vor vielen Hürden stehen - schon alleine bei den Wartezeiten. Da müssen wir viel machen.

Wichtig ist die Durchgängigkeit des Bildungssystems. Dass jemand, der eine Lehre gemacht hat, wirklich eine Chance bekommt, bis zum Studium durchzumarschieren.

Was die Ganztagsschule anbelangt, bin ich dafür, das freiwillig zu gestalten. Wenn Vater und Mutter keine Zeit haben, soll es die Möglichkeit geben, dass man am Nachmittag gut betreut ist. Also Hilfe bei der Hausübung, aber auch Freizeitgestaltung: Sport usw.. Wo rundherum ein Freundeskreis vorhanden ist und das Leben normal läuft, ist die Ganztagsschule nicht zwingend notwendig.

Das Gleiche betrifft die Kindergartenpflicht. Also wo ich aufgewachsen bin, waren wir immer ein Haufen Kinder. Da war die Kindergartenpflicht nicht das, was man unbedingt haben muss. Also auch hier: Freiwilligkeit und nicht Pflicht. Bei einem Jahr ist das OK. Aber für zwei Jahre bin ich nicht

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3. Gibt es ein konkretes österreichisches Anliegen, wofür Sie sich in der EU oder international einsetzen würden?

Van der Bellen: Die Europäische Union ist dabei auseinanderzubröseln. Das Flüchtlingsdrama ist nur das akuteste Beispiel, wo die Mitgliedstaaten nicht im Stande sind, zu einer Lösung zu kommen. Ich sehe darin ein fundamentales Problem in der Konstruktion der Union. Es ist zu viel Macht bei den Mitgliedstaaten und zu wenig bei der Kommission und dem Europäischen Parlament, also zu viel Nationalstaaterei. Deswegen ist es schwer, die Flüchtlinge fair zu verteilen. Die Union sollte anders organisiert sein, um Handlungsfähigkeit herzustellen. Sie darf nicht zerbröseln. Dafür würde ich werben wollen.

Hofer: Was die Briten ausverhandelt haben - den Anreiz zu setzen, dass Menschen ins Land kommen, die sich hier tatsächlich etwas aufbauen und im Job aktiv sein wollen - halte ich für einen guten Ansatz. Welchen Anreiz setzt ein Land bei der Einwanderung? Wir sind ein Land, wo man sehr hohe Steuern bezahlt. Da ist gleich einmal die Hälfte vom Einkommen weg. Wenn jemand sagt, er möchte etwas leisten und etwas verdienen, geht er nicht nach Österreich. Aber die Menschen finden sofort ihr Netz in der Mindestsicherung. Das ist nicht der Anreiz den ich bei der Einwanderung setzen will.

Asyl ist eine völlig andere Schiene. Asyl heißt Menschen zu helfen, die verfolgt werden und sich nicht wehren können. Meine Tochter hat viele Freunde, deren Eltern aus dem Ausland zu uns gekommen sind und sich alle etwas aufgebaut haben. Genau diese Leute sollen wir einladen und holen. Ich glaube, diesen Zugang - den sich die Briten erkämpft haben - sollte man eigentlich in allen Ländern der Europäischen Union umsetzen

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4. Gerade in Fragen zu den aktuellen Flüchtlingsbewegungen kann man eine starke Polarisierung erkennen. Eine Aufgabe des Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin ist laut der Internetseite der österreichischen Präsidentschaftskanzlei der Ausgleich zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Positionen. Wie würden Sie im Hinblick auf dieses Thema an diese Aufgabe herangehen?

Van der Bellen: Eine Aufgabe ist sicher, diesen Ausgleich herzustellen, aber ebenso wichtig ist es, auf die Einhaltung der Bundesverfassung zu drängen. Ich persönlich halte mehrere Dinge, die zurzeit in Österreich passieren, für verfassungswidrig. Nämlich etwa die sogenannte Obergrenze. Jeder, der Asyl beantragt, hat zumindest das Recht ein faires Verfahren zu bekommen. Man kann ihm auch nicht sagen: OK, wir werden das prüfen, aber irgendwann. Das habe ich von der Bundesregierung auch schon gehört. Das ist das Gegenteil von Integration, nebenbei gesagt.

Ich würde versuchen, ein bisschen Nüchternheit in die Debatte zu bringen. Diffuse Ängste sind ein schlechter Ratgeber. Gleichzeitig müssen wir uns den Problemen stellen. Jemand aus dem Nahen Osten kommt aus einem Umfeld, das mit einiger Wahrscheinlichkeit anti-israelisch eingestellt war. Wir brauchen es nicht, dass sich jemand antisemitisch äußert. Das ist eine Integrations- / Erziehungsaufgabe und das wird uns die nächsten 20 Jahre beschäftigen. Ähnliches gilt bei der Gleichstellung von Mann und Frau. Da haben wir unsere Regeln, und wir müssen darauf drängen, dass die auch eingehalten werden. Das ist keine diffuse Angst, das ist eine realistische Erwartung.

Hofer: Das Wichtigste in der Politik und im Leben ist, niemals Hass zu entwickeln. Man muss den Leuten sagen, schuld sind nicht die, die kommen, sondern diejenigen, die unter der Vorspiegelung falscher Tatsachen Menschen eingeladen haben.

Der Bundespräsident ist immer eine Leitfigur und muss mit einer klaren Linie sagen, wohin sich Österreich bewegen muss. Wenn er sich unaufgeregt, mit klarem Kopf einbringt, dann ist er das Vorbild, das Menschen auch brauchen. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Menschen wieder stolz sind Österreicher zu sein, ohne zu sagen, andere Länder sind schlechter. Das ist nämlich etwas ganz Negatives.

5. Eine weitere Aufgabe des Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin ist die Einbeziehung von Minderheiten in den politischen Prozess. Gibt es Ihrer Meinung nach eine Minderheit in Österreich, die besonders wenig berücksichtigt wird?

Van der Bellen: Bei den autochthonen Minderheiten, vor allem bei den slowenischsprachigen in Kärnten und Kroaten im Burgenland, ist es ganz wichtig, dass sie die Sprache beibehalten. Das wäre das, was man typischerweise unter Minderheit versteht.

Aber wir haben natürlich eine große muslimische Minderheit. Die sollen ihre Moscheen bauen dürfen, finde ich. Ich bin ursprünglich evangelisch, und es gibt gewisse Parallelen zwischen der Situation der Protestanten und den Muslimen in Österreich. Die Evangelischen haben erst am Ende des 18. Jahrhunderts die Freiheit der Religionsausübung bekommen - und somit die Erlaubnis Kirchen zu bauen, vorausgesetzt die Kirche war unscheinbar, und sie durfte auf keinen Fall größer sein als die katholische. Ich will das nicht überbewerten, aber die diffuse Angst vor Moscheen ist mir persönlich nicht nachvollziehbar.

Hofer: Aus meiner Sicht hat es in den letzten Jahren kaum aktive Behindertenpolitik gegeben. Wir haben beim Pflegegeld mittlerweile einen Wertverlust von 30%. Das führt dazu, dass pflegebedürftige und behinderte Menschen immer mehr aus der wohlbehüteten Betreuung zu Hause in eine stationäre Einrichtung gedrängt werden. Diese sind zwar auch alle sehr gut, aber das kostet den Staat nachher mehr. Das heißt, man spart beim Pflegegeld und hat dann deutliche Mehrausgaben für die stationäre Betreuung. Und da ist ganz wenig passiert in den letzten Jahren. Man hat im Gegenteil sogar massiv gespart. Früher war es so, dass ein berufstätiger Mensch, der aufgrund seiner Behinderung nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren konnte, keine NoVa (Normverbrauchsabgabe für PKWs, Anm.) bezahlt hat. Das ist gestrichen worden. Das ist auch eine Einschränkung und eine Belastung, die wirklich spürbar ist.

Das ist eine Gruppe ... und die zweite, mit der ich auch oft zu tun habe, sind Alleinerzieher und Alleinerzieherinnen. Die leben ganz oft unter der Armutsgrenze und werden wirklich allein gelassen.

6. Das neue Staatsschutzgesetz tritt im Juli 2016 in Kraft. Die Entscheidung, ob die Überwachung von Personen gerechtfertigt ist, unterliegt damit der Kontrolle eines Rechtschutzbeauftragten. Dieser wird von der Regierung vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten bzw. der Bundespräsidentin bestätigt. Halten Sie diese Kontrolle für ausreichend? Sollte sie besser einer/m RichterIn unterliegen?

Van der Bellen: Ich halte sie für nicht ausreichend. Wir hatten gerade eine negative Erfahrung mit einem Beauftragten im Zusammenhang mit dem KZ Mauthausen. Da hat einer im Internet gepostet, dass Mauthausenflüchtlinge 1945 nicht KZ-Häftlinge, sondern Verbrecher gewesen wären. Der Beauftragte hat keinen Einspruch eingelegt und damit ist die Geschichte juristisch sozusagen erledigt. Insofern fürchte ich, eine Person allein, mag sie noch so qualifiziert sein, reicht nicht aus. Es braucht eine richterliche Kontrolle mit Berufungsmöglichkeit.

Der Bundespräsident muss den Rechtschutzbeauftragten nicht bestätigen. Wenn er gute Gründe hat, den Vorschlag abzulehnen, muss die Bundesregierung einen neuen Vorschlag machen. Das ist ein feiner, aber nicht unwichtiger Unterschied.

Hofer: Mir gefällt das Gesetz insgesamt nicht. Staatsschutzgesetz ist ein schöner Name, aber es ist ein Überwachungsgesetz. Unter dem Vorwand, wir brauchen sie zur Terrorbekämpfung, wird die Überwachung immer stärker - bis in den privatesten Bereich. Es zeigt sich aber in allen Ländern, die diese Gesetze haben, dass man den Terror nicht bekämpft hat, sondern die Bürger intensiver Überwacht werden. So eine Überwachung von einer Person kann nur von einem Richter auf Schiene
gesetzt werden. Da muss wirklich ein sehr begründeter, harter Tatverdacht vorliegen, dass man hier in den privaten Bereich eingreift.

7. Bei solchen Gesetzen handelt es sich um komplexe Themen. Sind Sie für die verstärkte Anwendung der direkten Demokratie, sodass die Bevölkerung selbst über derartige Gesetze entscheidet?

Van der Bellen: Ich bin sehr für direkte Demokratie auf den unteren Ebenen. Das ist zwar ein großer Aufwand, aber da lohnt sich Mitbestimmung. Auf den höheren Ebenen haben wir immer das Risiko, dass in Wahrheit über etwas anderes abgestimmt wird. Wir haben in Österreich eine Volksbefragung gehabt über die Frage: Berufsheer oder Wehrpflichtigen-Heer. Ist da nicht in Wahrheit über den Zivildienst abgestimmt worden? Insofern bin ich ein Anhänger der repräsentativen Demokratie. Dafür sind Politiker da, dass sie schwierige Entscheidungen treffen.

Hofer: Mein Ziel wäre ein Modell wie in der Schweiz. Der Vorgang sollte so sein, dass Bürger gemeinsam einen Gesetzestext entwickeln können, der dann vom Verfassungsgerichtshof auf Umsetzbarkeit geprüft wird. Dann kommt es zu einem Volksbegehren. Wenn dieses von 4% der Bürger unterstützt wird, muss das Parlament darüber beraten. Wenn das Parlament zustimmt, ist die Sache erledigt. Wenn es ablehnt, dann soll es zu einer Volksabstimmung kommen und das Ergebnis muss bindend sein.

Oft kommt das Argument, dass die Medien meinungsändernd eingreifen. Aber wir haben das bei der Frage der Wehrpflicht gesehen. Da war eine sehr starke Zeitung für das Berufsheer und die Bürger haben trotzdem anders abgestimmt. Ich glaube, man überschätzt die Einflussmöglichkeiten der Medien ein wenig.

8. Was würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?

Van der Bellen: Ich würde empfehlen zu überlegen: Was will ich wirklich? Nicht für die nächsten 50 Jahre sondern für die nächsten 20 Jahre - Was muss ich dafür können? Wo bekomm ich die beste Ausbildung dafür? Ich habe das seinerzeit unterschätzt. Ich habe gar nicht gewusst, dass damals die Ökonomieausbildung an der Uni-Innsbruck miserabel war. Das hat sich dann später rasch verändert.

Was ich noch empfehle, ist sich nicht so von Prognosen, was der Arbeitsmarkt braucht, beeinflussen zu lassen, sondern zu machen, was einen wirklich interessiert. Selbst wenn die Statistiken sagen, dass etwas überlaufen ist. Wenn man in dem Bereich wirklich gut ist, hat man auch eine realistische Chance sich durchzusetzen. Sonst kann ich nur sagen: Good Luck!

Hofer: Also für mich ist wichtig, dass sich junge Menschen politisch engagieren, damit man auch selbst entscheiden kann, wie es in Österreich weiter geht. Und wenn man die Entscheidung trifft bei welcher Partei man politisch aktiv wird, sollte man nicht zuerst schauen, ob in der Partei jemand ist, der einem gefällt - sondern die Parteiprogramme anschauen und dann entscheiden, wo man mitmacht. Denn Parteiobleute kommen und gehen. Deshalb immer das Parteiprogramm anschauen und dann entscheiden, wo man sich engagiert. Das ist das Wichtigste.

2016, Politik auf einen Blick, Wien
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