Irmgard Griss
Wir trafen die ehemalige langjährige Richterin und OGH - Präsidentin Irmgard Griss Anfang März und konnten in einem persönlichen Gespräch unsere Fragen stellen:
1. Was halten Sie für den wichtigsten Grund, warum junge ÖsterreicherInnen Sie wählen sollen?
Weil ich als erste wirklich parteiunabhängige Kandidatin antrete und daher auch Dinge ansprechen und verändern kann, die bisher aus Parteirücksicht nicht angesprochen wurden. Gerade junge Leute müssen doch daran interessiert sein, dass jemand kommt, der umrührt und etwas verändert.
Ich bin absolut für eine Bildungsreform. Für mich wäre ein erster Schritt die flächendeckende Einführung von Ganztagsschulen. Weil es viele Kinder gibt, die in Familien aufwachsen, wo ihnen niemand zeigt, wie man lernt. Kinder, die aus Familien kommen, in denen Eltern an Bildung interessiert sind, tun sich da viel leichter. Aber es gibt genug Kinder, für die das nicht zutrifft. Da muss man ansetzen.
Ein weiterer wesentlicher Punkt wäre, dass man alles tut, damit die Lehrerinnen und Lehrer in der Gesellschaft wertgeschätzt werden. Das ist der wichtigste Beruf überhaupt. Und die Besten werden sich für den Lehrberuf nur entscheiden, wenn er wertgeschätzt ist.
Für mich wäre ein weiteres wichtiges
Anliegen, dass künstlerische Fächer, die zur Persönlichkeitsbildung und zur
selbstbestimmten Gestaltung des Lebens beitragen, forciert werden. Das ist auch
für die Gesellschaft ganz wichtig.
Ich bin auch sehr dafür, in der Schule ein Fach "Kritisches Denken" einzuführen, in dem die jungen Leute lernen, ihre Einstellungen und Meinungen kritisch zu hinterfragen. Bildung ist für mich überhaupt der Schlüssel für alles.
Momentan ist das natürlich eine Kooperation auf europäischer Ebene in der Flüchtlingsfrage. Das können wir nur gemeinsam lösen. Da gibt es keinen erfolgversprechenden Alleingang. Ich finde ja den Alleingang mit der Westbalkankonferenz kurzsichtig. Man kann doch nicht sagen, das ist das Problem der Griechen, weil die Flüchtlinge dort ankommen. Wollen wir, dass der griechische Staat endgültig kaputt geht? Auch die Dominotheorie ist für mich zutiefst inhuman. Unsere Politiker haben gesagt, wenn wir die Grenzen zumachen, müssen das die anderen auch. Bei Domino geht es doch um das Umfallen von Steinen. Und wer fällt denn da um? Die Menschen, die unterwegs sind. Daher finde ich das absolut inakzeptabel. Das sind politische, taktische Ansagen, und ich finde, das gehört sich nicht.
Österreich muss sich auf europäischer Ebene auch massiv dafür einbringen, dass die Menschen in der Nähe ihrer Herkunftsländer gut versorgt werden. Und dafür, dass eine Entwicklungshilfepolitik gemacht wird, die den Menschen wirklich etwas bringt - eine Verbesserung der Chancen im eigenen Land.
Außerdem brauchen wir in ganz Europa eine Bildungsoffensive. Mit Schwergewicht auf den technischen Fächern. Noch ist die EU der größte Wirtschaftsraum der Erde, fällt aber gegenüber den aufstrebenden Staaten in Asien zurück.
Ich würde einmal die Themen klar ansprechen. Die Menschen, die zu uns kommen, sind in Not. Denen muss man helfen, und viele wollen auch helfen. Ich würde aber genauso die Befürchtungen und Ängste unserer Leute ansprechen. Beides ist vorhanden. Ich würde um Verständnis füreinander werben und würde auch die Politik auffordern, den Leuten konkret zu sagen, was wir tun können, und was wir tun. Also die Karten auf den Tisch legen. Ich bin überzeugt, dass man einem großen Teil der Menschen die Ängste nehmen kann. Ich glaube, ein Grund für diese Spaltung der Gesellschaft ist, dass das Thema so lange weggeschoben wurde. Dass so getan wurde, als gäbe es kein Problem. Nur die FPÖ hat das angesprochen. Sie hat den Eindruck erweckt, es gäbe eine einfache Antwort. Die gibt es aber nicht. Die Aufgabe der Bundespräsidentin oder des Bundespräsidenten wäre, das Problem klar zu benennen und deutlich zu sagen, welche Möglichkeiten wir haben. Ich würde auch für das Verständnis untereinander werben, denn nur dadurch können wir Probleme bewältigen.
Es gibt
die autochthonen Minderheiten. Also die Kärntner Slowenen und die
Burgenlandkroaten. Da, glaube ich, ist schon viel geschehen. Gott sei Dank. Ich
glaube, bei diesen Minderheiten sind wir auf einem guten Weg, aber wir müssen
weiter dran bleiben.
Eine andere Minderheit wären die sexuell anders
Orientierten. Da ist auch Einiges geschehen. Das ist nicht mehr so tabuisiert.
Ich bin dafür, dass man für homosexuelle Partnerschaften auch die Ehe öffnet.
Warum nicht? Rechtlich ist so gut wie kein Unterschied. Warum kränke ich diese
Menschen, indem ich sage, heiraten dürft ihr nicht? Ihr steht zwar füreinander
ein und dürft jetzt sogar ein Kind adoptieren. Aber ihr dürft es nicht Ehe
nennen. Das verstehe ich nicht.
Auf die muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürger müssen wir auch offen zugehen. Meiner Erfahrung nach sieht vieles ganz anders aus, wenn man die Menschen persönlich kennenlernt. Man muss sie ernst nehmen und respektieren, aber natürlich genauso verlangen, dass sie uns und unsere Kultur respektieren.
Ich war ja Richterin über 30 Jahre und bin davon überzeugt, dass ein unabhängiger Richter da die beste Adresse ist. Es hängt natürlich auch beim Rechtsschutzbeauftragten von der Persönlichkeit ab - wie er das macht. Da kann es gewaltige Unterschiede geben. Aber ich glaube, in einem Rechtsstaat sollte man für solch sensible Aufgaben einen Richter einsetzen. Wir haben ja Gott sei Dank eine Justiz, in der Gerichte wirklich unabhängig sind. Das hielte ich für die bessere Lösung.
Das ist eine Möglichkeit, aber auch ein schwieriges Thema, das Tür und Tor für Manipulation öffnet. Erinnern Sie sich, aus welchen Gründen die Bundesheer Abstimmung gemacht wurde? Es ging nicht um die Wehrpflicht, sondern um parteitaktische Erwägungen. Da bin ich sehr skeptisch. Ich bin absolut dafür, das Volk stärker einzubeziehen, aber dafür braucht man mündige Bürgerinnen und Bürger. Dazu muss man kritisches Denken forcieren - in der Schule als Unterrichtsfach einführen - und parallel dazu auf der Gemeindeebene beginnen, die Menschen stärker einzubeziehen. Man kann nicht von 0 auf 100 gehen, sondern muss das schrittweise aufbauen. Aber es soll sich da was bewegen.
8. Was würden Sie jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Bringt euch ein! Nur wenn jeder in seinem Bereich etwas zum Guten verändert, kann sich im Großen etwas ändern. Jeder kann etwas machen, nicht nur die Politik, sondern wir alle. Man muss in seinem Bereich einen Beitrag leisten. Wenn wir das tun, wenn das jeder für sich so annimmt, wird vieles besser werden. Und gerade junge Leute haben alle Möglichkeiten.